Zeitzeugengespräche:

Begegnung mit der eigenen Geschichte

20. Dezember 2016

„Etwa ein Drittel aller Gmünder hatte in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Wurzeln im Osten“ berichteten die Zeitzeugen Dr. Kurt Scholze und Dr. Franz Seidl vom Verein Brücke nach Osten e.V. der Klasse 13-3 des Wirtschaftsgymnasiums im Zeitzeugengespräch, das der Geschichte- und Gemeinschaftskunde-Lehrer Herr Lakner organisiert hatte. Dieses Drittel zeigte sich auch in der Zusammensetzung der Klasse.

Begegnung und Erinnerung ohne Groll waren die Leitprinzipien unter denen die Zeitzeugen von ihrer Kindheit im heutigen Tschechien und später in der BRD erzählten. Die emotionale Belastung, die der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung in der Nachkriegszeit für Kinder in der Zeit bedeutete und die Vertriebenen noch heute beschäftigt, hinterließ ebenso Eindruck bei den Schülerinnen und Schülern wie der Bericht über die Eingliederung der Vertriebenen in die Stadt Schwäbisch Gmünd, die selbst wiederum einen großen Beitrag für Wiederaufbau und Integration leisteten.

Die beiden Zeitzeugen warben für den Dialog und eine gemeinsame Erinnerungskultur mit den Menschen in den Gebieten im Osten, um die Zukunft in Freundschaft gestalten zu können. Diesem Ziel dienen auch die Ausstellung im Torhaus an der Waldstetter Brücke und der neue Verein „Brücke nach Osten“, zu denen die Schülerinnen und Schüler herzlich eingeladen wurden.

Die gemeinsame Geschichte entdecken

 Gastschüler des HBG aus Prag besuchten im Torhaus den Gmünder Verein „Brücke nach Osten“. Vereinsmitglieder sind nicht zuletzt Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat im Osten vertrieben wurden. Ihr Ziel ist das harmonische Miteinander in Europa. Interessierte Zuhörer aus Prag hatte Dr. Frank Seidl bei seinem Zeitzeugengespräch im Torhaus.

Die Geschichte Mitteleuropas wurde von vielen Völkern geprägt, ihr Siedlungsraum überschnitt sich, ihre Kultur ging fließend ineinander über. Erst der eiserne Vorhang trennte seit 1946 diese Verbindungen. Seit 30 Jahren kann man dessen Folgen aufarbeiten. Der Gmünder Verein Brücke nach Osten hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Wissen über unsere östlichen Nachbarn zu verbessern – aber auch die junge Generation in den östlichen Nachbarländern über die Vergangenheit zu informieren. So war eine Schülergruppe aus Prag, die derzeit am Hans-Baldung-Gymnasium zum Austausch sind, gern gesehener Gast im Torhaus an der Waldstetter Brücke. In zwei Ausstellungsräumen konnten sich die Schüler über Beispiele für die gemeinsame Kultur informieren. Das Wirken der Bauhaus-Architektin Lilly Reich, die auch in Brünn tätig war, wurde zweisprachig präsentiert. Die Geschichte der Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie, die nach dem Krieg ab 1945 in Schwäbisch Gmünd angesiedelt wurde, hat der Verein mit Exponaten veranschaulicht. Großes Interesse fand bei den tschechischen Gastschülern die Lebensgeschichte von Dr. Frank Seidl aus dem nordmährischen Zwittau, der als Zeitzeuge sowohl das harmonische Zusammenleben der Volksgruppen in seiner Geburtsheimat schilderte wie auch die Gräuel bei Kriegsende, die in der Vertreibung von sechs Millionen Menschen endete. Es ist die Aufgabe der Erlebnisgeneration, von den Fakten und Folgen zu berichten, damit sich derartiges nicht wiederholt.

Aufarbeiten und nicht Fehler aufrechnen

  Geschichte Dr. Frank Seidl berichtet von den Erfahrungen als Kind im Zweiten Weltkrieg.

 Von seinen vielfältigen Erfahrungen als Kind im Zweiten Weltkrieg berichtete

Dr. Frank Seidl vom

Schwäbisch Gmünder Verein Brücke nach Osten den Schülern der Klassen 13-2 und 13-3 des Wirtschaftsgymnasiums der Kaufmännischen Schule in Gmünd.

Er erzählte eindrücklich von der Zeit der Flucht und Vertreibung aus den deutschsprachigen Gebieten des heutigen Tschechiens nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch von den Erfahrungen eines internationalen Studiums in Finnland und Japan in den 1950er- und 1960er-Jahren bis hin zum promovierten Betriebswirt.

Schüler des Gmünder Wirtschaftsgymnasiums lauschen den spannenden Erzählungen von Dr. Frank Seid.

Seidl war der Einladung des Lehrers Hannes Lakner gefolgt, um mit den künftigen Abiturienten ins Gespräch darüber zu kommen, wie sich die Ereignisse, die die Schüler aus den Geschichtsbüchern kennen, für die Zeitgenossen angefühlt haben.

Im Zentrum seiner spannenden Erzählungen stand der Appell des Zeitzeugen, die europäischen Nachbarländer zu besuchen und sich in Freundschaft mit den dortigen Menschen auszutauschen. Nachhaltig zueinander finden

Frank Seidl trat besonders für seine Überzeugung ein, dass es gerade im Umgang mit den Tschechen um eine Aufarbeitung der Geschichte ohne Aufrechnung der Fehler und Gräuel vergangener Generationen gehen müsse, um nachhaltig zueinander zu finden.

 

Eintauchen in die gemeinsame Geschichte (April 2025)

Studierende der westböhmischen Universität Pilsen auf den Spuren der deutschen Vergangenheit.

Etwa zwanzig Germanistikstudenten der westböhmischen Universität in Pilsen waren Anfang April mit ihren Dozentinnen am Sonntag zu Gast beim Verein „Brücke nach Osten“ im Torhaus an der Waldstetter Brücke. Die jungen tschechischen Gäste wollten nicht nur ihre Sprachkenntnisse verbessern, sondern auch tiefer in die gemeinsame Geschichte der beiden Völker in der Mitte Europas eindringen. Hierbei ist die Aufarbeitung der Vertreibung nach 1945 sicher eines der heikelsten Themen, das auch jahrzehntelang in Tschechien tabuisiert wurde. Professorin Katerina Kovackova widmet sich seit langem dieser historischen Lücke und konnte mit Dietlinde Langer aus Maffersdorf und Dr. Frank Seidel aus Zwittau zwei Betroffene für Interviews gewinnen, die die Vertreibung noch bewusst erlebt haben. Für die tschechischen Studenten liegt diese Epoche in tiefer Vergangenheit, für die deutschen Senioren hat das Erlebte längst den Schrecken verloren, so dass eine objektive Annäherung möglich ist.

Frank Seidel wies die jungen Gäste auch ausdrücklich auf das Leid hin, welches der Verlust der Heimat bedeutet und betonte eindringlich, wie wichtig ein friedliches Zusammenleben der Menschen sei. Dazu seien Begegnungen wie diese eine wichtige Grundlage, aber auch die Kenntnis der Geschichte und der Gemeinsamkeiten. Die Neugier der Studenten, aber auch ihre Unbefangenheit, mit der sie das Thema angingen, zeigt, dass Ressentiments zwischen den Völkern abgebaut wurden und seitens unserer tschechischen Nachbarn großes Interesse an der vorurteilslosen Bearbeitung der Kriegs- und Nachkriegszeit liegt. Der Verein „Brücke nach Osten“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Bestrebungen zu fördern und ist Professorin Kovackova dankbar, dass sie neben der Sprachvermittlung auch den Blick auf die Geschichte richtet (wil)